Urängste in der Liebe bei empathischen Menschen

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Wie ich in meinem Buch „Die Liebe empathischer Menschen“ ausführlich hergeleitet habe, setze ich voraus, dass empathische Menschen kein herkömmliches „Inneres Kind“ in sich tragen, sondern dass dieser spezielle Persönlichkeitsanteil (siehe Quelle unten: Transaktionsanalyse nach Eric Berne) eher einem Inneren Neugeborenen-Ich gleichkommt. Das heißt, betrachten wir das Innere Kind aus der Sicht eines Inneren Neugeborenen, können auch die Urängste von empathischen Menschen sehr anschaulich erklärt werden.

Urängste treten immer dann sehr unangenehm zutage, wenn grundsätzlich das eigene Überleben bedroht ist. Bei empathischen Menschen betrifft dies in der Tat auch ihre Liebesbeziehungen. Obwohl es – objektiv betrachtet – in der Liebe nicht um Leben oder Tod geht, kann jedoch das subjektive Empfinden tatsächlich ein Bedrohungsgefühl hervorrufen. Dabei spielen bestimmte Vorstellungen über die Liebe eine große Rolle.

Besonders empathische Menschen idealisieren die Liebe, ohne sich darüber bewusst zu sein.

Sie entwickeln schon recht früh in ihrem Leben ein ganz bestimmtes Ideal von der sogenannten WAHREN LIEBE.

Das Liebesideal von empathischen Menschen: Der Grund für Urängste

Besonders bei empathischen Menschen entstehen schon recht früh bestimmte Erwartungshaltungen. Sie entwickeln innerlich eine Art Liebesidealismus. Bei ihren Partnerschaften betrifft das in der Hauptsache folgende vier Kriterien:

  1. Bedingungslosigkeit
  2. Engagement
  3. Selbstlosigkeit
  4. Ehrlichkeit

Beginnen wir mit dem ersten Punkt, den eine ideale Liebesbeziehung aus der Sicht vieler empathischer Menschen unbedingt erfüllen müsste. Zur Herleitung nutzen wir das bereits erwähnte Modell, dass das Inneres Kind eine Art Inneres Neugeborenes darstellt.

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1. Bedingungslosigkeit

Stellen Sie sich nun vor, Sie befinden sich noch im Bauch Ihrer geliebten Mutter. Der Zeitpunkt Ihrer Geburt liegt vielleicht noch ein paar Wochen in der Ferne. Es ist warm und kuschelig. Zudem werden Sie durch eine widerstandsfähige Gebärmutter hervorragend vor mechanischen Umwelteinflüssen geschützt. Sie genießen ein Rundum-sorglos-Paket.

Im Bauch Ihrer Mutter befinden Sie sich noch im Paradies.

Aber auch nach Ihrer Geburt geht es meist fast sorgenfrei weiter. Sie erleben das erste Mal, was Liebe überhaupt bedeutet: die unendlich reine und nicht auflösbare Liebe zwischen Mutter und Kind. Nie mehr in Ihrem Leben werden Sie sich so sehr geliebt fühlen wie damals.

Durch diese extrem hohe Anziehungskraft zwischen Babys und Müttern sind Frauen praktisch gezwungen, das zu tun, was im Sinne ihrer Neugeborenen ist. Diese besonders intensive emotionale Bindung zu ihren Nachkommen, die Müttern praktisch keine Wahl lässt, sich aufzuopfern, hat mit der evolutionären Besonderheit der menschlichen Fortpflanzung zu tun.

Der Schweizer Zoologe und Anthropologe Adolf Portmann (1897–1982, Quelle siehe unten) hat den Menschen als physiologische Frühgeburt bezeichnet, und er hat zweifelsohne recht. Neu geboren ist der Mensch auf die permanente Hilfe anderer angewiesen – alleine ist er praktisch nicht überlebensfähig. Tatsächlich erreicht der Mensch erst etwa ein Jahr nach seiner Geburt den Reifungszustand, den er, in Relation zu anderen Säugetieren, eigentlich schon bei seiner Geburt hätte haben müssen.

Im Vergleich zu einem Schimpansen erreicht der Mensch sogar erst nach 18 Monaten ein vergleichbares Entwicklungsniveau.

Jetzt können Sie praktisch nachvollziehen, warum bei allen Neugeborenen das intuitive Handeln noch sehr ausgeprägt sein muss. Die Schulmedizin nennt dies im Übrigen unbewusste Reflexe:

Solange das junge Leben selbst nicht überlebensfähig ist, animiert es intuitiv andere, Hilfestellung zu geben.

Das betrifft in den ersten Monaten die Versorgung mit Nahrung und den Schutz vor ungewollten Umwelteinflüssen. Neugeborene können faktisch nur liegen, schlafen oder schreien, um andere dazu zu bringen, sich um sie zu kümmern. In der Regel reicht dies jedoch für eine maximale Überlebenssicherheit nicht aus. Daher entwickeln Babys intuitiv eine hohe emotionale Anziehungskraft. Unbewusst zwingen sie Eltern förmlich, wie hypnotisiert zu rennen, um für Nahrungssicherheit und Schutz zu sorgen.

Damit aber nicht genug: Nach neuesten Untersuchungen haben Sie mit Ihrem Gehirn sogar Ihre eigene Geburt maßgeblich beeinflusst.

Schon der international führende Hirnforscher Dick Swaab stellte fest: „Das Gehirn des Kindes spielt sowohl bei der Einleitung als auch im Verlauf der Geburt eine entscheidende Rolle“ (Quelle: „Wir sind unser Gehirn“, Dick Swaab, 2013).

Also, es kann durchaus die Behauptung aufgestellt werden, dass Sie es selbst waren, die ihren eigenen Geburtsvorgang maßgeblich eingeleitet haben:

Sie selbst waren es, der damals für den Geburtsvorgang verantwortlich war.

In der Summe hatten Sie als Baby also mehr Einfluss auf Ihre Lebenssituation, als Ihnen heute bewusst ist. Durch Ihre extrem hohe Anziehungskraft zwangen Sie Ihre Mutter förmlich, sich für Sie aufzuopfern. Im Extremfall erreichte die emotionale Abhängigkeit Ihrer Mutter ein enormes Niveau. Für die Sicherstellung Ihres Überlebens hätte sie alles getan:

Ihre Mutter wäre wahrscheinlich sogar bereit gewesen, für Ihr Überleben ihr eigenes Leben zu opfern.

Falls Sie heute irgendeinen Groll gegenüber Ihrer Mutter hegen sollten, denken Sie bitte daran: Sie wurden in den ersten Monaten als Baby von ihr so unglaublich geliebt, dass Ihre Mutter im Notfall alles – und ich meine wirklich alles – für Sie getan hätte, nur damit Sie weiterhin auf dieser Welt bleiben können.

Die Nachkommen des Homo sapiens beginnen ihr Dasein infolgedessen mit der romantischsten Liebesbeziehung ihres Lebens.

Sie ahnen es sicher schon: Aufgrund Ihres Inneren Neugeborenen-Ichs können Sie sich leider noch unbewusst daran erinnern. Während andere, weniger empathisch veranlagte Menschen diese schönste Liebesbeziehung aller Liebesbeziehungen zwischen Mutter und Baby längst vergessen haben, hat das bei Ihnen nicht richtig funktioniert.

Ihr Unterbewusstsein weiß noch heute ziemlich genau, wie es sich angefühlt hat, von Mutterliebe berührt zu werden. Sie erinnern sich unbewusst sogar daran, dass die Liebe Ihrer Mutter zusätzlich völlig bedingungslos war. Sie konnten damals tun und lassen, was Sie wollten, und erlebten dennoch die höchste Form des Geliebtwerdens.

Allein die Tatsache, auf der Welt zu sein, reicht für Babys aus, um unendlich geliebt zu werden.

Diese in Ihrem Unterbewusstsein tiefsitzenden Erinnerungen führen zwangsläufig zu einem bestimmten Punkt Ihres Liebesideals: Sie sehnen sich danach, dieses unbeschreibliche Gefühl der Bedingungslosigkeit weiterhin erfüllt zu bekommen – natürlich auch in Ihren Partnerschaften.

Das erste Liebesideal von empathischen Menschen beinhaltet Bedingungslosigkeit.

Ihr Inneres Neugeborenes ist der Meinung, dass allein Ihre Anwesenheit ausreichend sein müsste, um geliebt zu werden. Sie beginnen praktisch Ihr Leben mit einer fast fanatischen Vorstellung von der Liebe. Damit sind Sie (zumindest in jungen Jahren) ein Romantiker, wie er im Buche steht.

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2. Engagement

Wie Sie nun erfahren haben, möchten Sie aufgrund Ihres spezifischen Egoanteils des Inneren Neugeborenen bedingungslos geliebt werden. Darüber hinaus weiß Ihr unbewusstes Inneres noch sehr genau, dass es für die wundervolle Liebe Ihrer Mutter absolut nichts machen musste. Sie profitierten von einer vielleicht um den Schlaf gebrachten und sich abhetzenden Mutter, die sogar bereit gewesen wäre, ihre Gesundheit zu ruinieren, nur damit Sie überlebent.

Um bedingungslose Liebe zu erhalten, mussten Sie damals noch nicht einmal auf irgendeine Art und Weise aktiv werden.

Ihre liebe Mutter erwartete keine Gegenleistung. Als Baby genügte es für Sie, einfach nur dazuliegen, zu schlafen und ab und zu ein wenig zu schreien.

Ihr Inneres Neugeborenes sorgt deshalb noch heute dafür, dass Sie eher passiv sein möchten, wenn es um die Liebe geht. In der Folge fällt es Ihnen später auch sehr schwer, aktiv Liebesbeziehungen zu initiieren. Es erscheint Ihnen wahrscheinlich sogar unmöglich, auf potenzielle Liebespartner zuzugehen. Ihr Unterbewusstsein setzt einfach voraus, dass es schlicht nicht notwendig ist, das Heft in die Hand zu nehmen. Schließlich hat es ja schon erlebt, nur anwesend sein zu müssen, und es klappte mit der (Mutter-)Liebe dennoch.

Sie erwarten schon seit Ihrer Kindheit ein gewisses einseitiges Engagement Ihrer Bezugspersonen, wenn es um die Liebe geht.

Dazu zählen natürlich auch bloße Zuneigungsbezeugungen. Sie erwarten ein bestimmtes Engagement, wie beispielsweise Lob, Aufmerksamkeit, Beachtung und Anerkennung, und nur deshalb, weil Sie geboren wurden.

Das zweite Liebesideal von EM beinhaltet Engagement.

Sie werden infolgedessen schon früh in Ihrem Leben geprägt, zuerst Liebe empfangen zu müssen, bevor Sie bereit sind, Liebe zu geben. Daher sehnen Sie sich später nach Liebeskandidaten und Liebeskandidatinnen, die zuerst und einseitig Initiative und Engagement zeigen.

Unabhängig davon, ob Sie männlich oder weiblich sind, in Ihren Vorstellungen über die WAHRE LIEBE möchten Sie insgeheim umgarnt und umworben werden.

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3. Selbstlosigkeit

Empathische Menschen beginnen ihr Leben also mit einer Art egozentrischen Weltsicht. Dies ist aber nicht mit Egoismus zu verwechseln: Empathen sind im Erwachsenenalter alles andere als egoistisch. Durch ihr großes Mitgefühl spüren sie die Nöte und Ängste ihrer Mitmenschen. Sie möchten ganz einfach helfen. Permanent kommen der Ratgeber und Helfer zum Vorschein, der es nicht nur allen recht machen möchte, sondern auch darum bemüht ist, dass es Menschen ein wenig besser geht.

Dennoch fällt es empathischen Menschen in der Regel recht schwer, eine sachliche Vogelperspektive einzunehmen.

Zumindest in jungen Jahren schaffen es viele Empathen nicht, sich die nötige Objektivität anzueignen.

Die Ursachen hierfür können wieder durch das Modell des NEUGEBORENEN-ICHs wunderbar hergeleitet werden: Die Fähigkeit von Neugeborenen, ihre Umwelt durch objektive soziale Gesichtspunkte zu bewerten, ist noch stark eingeschränkt. Sie sind ausschließlich auf die Mutter und später auf den Vater fixiert. Man könnte es auch etwas unromantisch ausdrücken: Babys sind in erster Linie an den Menschen interessiert, die Nahrung und Schutz bieten.

Die Urinstinkte von Neugeborenen sind ausschließlich auf die für das eigene Überleben notwendigen Personen fixiert.

Babys wissen nicht, dass es noch andere Babys auf der Welt gibt (Ausnahme: Zwillinge). Ebenso ist ihnen völlig unbekannt, dass sie Teil einer Menschheit sind, die aus Milliarden von Individuen besteht.

Babys fühlen sich aufgrund ihrer egozentrischen Perspektive erst einmal allein auf der Welt.

Die einzigen Bezugspersonen sind Vater und Mutter. Dies alles ändert sich natürlich im Laufe des Heranwachsens. Schon mit sechs bis zwölf Monaten interessieren sich die Kleinen für andere Kinder und machen damit die ersten sozialen Erfahrungen. Sie beobachten sich etwa und versuchen, den anderen nachzuahmen. Trotz dieses Interesses spielen Kinder bis zum Alter von zwei Jahren eher alleine oder nebeneinander, aber nicht als Partner.

Etwa ab dem dritten Lebensjahr setzt dann eine neue Phase ein, bei der aus einem Nebeneinander ein Miteinander wird: Die Kinder lernen, mit Gleichaltrigen zu kooperieren, aber auch sich durchzusetzen. Sie entwickeln zunehmend Sozialkompetenz. Es entwickelt sich praktisch ein herkömmliches Inneres Kind.

Sie hingegen besitzen allerdings ein Inneres Neugeborenes und kein herkömmliches inneres Kind, was bedeutet, dass dieser Persönlichkeitsanteil noch immer unbewusst der Meinung ist, die Welt drehe sich allein nur um Sie. Die Tatsache, dass es daneben noch viele weitere Individuen gibt, die zudem in der Partnerschaftssuche noch für Konkurrenzkonstellationen sorgen, irritiert Ihr Unterbewusstsein erheblich.

Insbesondere bei der späteren Partnerwahl werden Sie dies deutlich zu spüren bekommen.

Ihr noch sehr stark subjektiv geprägtes Unterbewusstsein wird sich äußerst schwertun, einen Wettbewerb mit anderen Partnersuchenden zu akzeptieren.

Ihr Inneres wird sich sehr irritiert zeigen, sich gegen die Konkurrenz durchsetzen zu müssen und später dafür sorgen, dass Sie sich in solchen Situationen eher zurückziehen, wenn nicht sogar schleunigst die Flucht ergreifen. Sie würden lieber Ihren Geschlechtsgenossen potenzielle Liebeskandidaten überlassen, als dass Sie sich dem Liebeswettbewerb stellen würden.

Empathische Menschen werden von Konkurrenzkonstellationen erheblich verunsichert.

Zumindest als kleines Baby waren Sie es gewohnt, als einzigartiges Wesen behandelt zu werden. Egal, was Sie taten oder unterließen, ihre Mutter gab Ihnen immer das Gefühl, dass ihre Liebe Ihnen ganz allein gehört. Auch wenn Sie ein schwieriges Kind waren, ständig kränkelten oder dauernd weinten, Sie konnten niemals ernsthaft den subjektiven Eindruck gewinnen, Ihre Mutter (zumindest in den ersten Monaten) würde sich noch um jemand anderen kümmern (Ausnahme: Zwillinge).

Selbst wenn ältere Geschwister vorhanden sind, würde sich daran nichts ändern.

Eine junge Mutter wird einem Neugeborenen automatisch das Gefühl der Einzigartigkeit vermitteln.

Daher ist für empathische Menschen auch im Erwachsenenalter das Gefühl der Einzigartigkeit überaus wichtig.

Wenn Sie bemerken, dass eine wichtige Bezugsperson in Ihrem Leben den Fokus von Ihnen nimmt, um sich anderen zuzuwenden, werden in Ihrem Unterbewusstsein wahrscheinlich bedrohliche Gefühle aufsteigen.

Ihr Inneres erwartet noch heute, dass sich die für Sie wichtigen Menschen völlig auf Sie konzentrieren.

Das bedeutet jedoch auch, dass das Gegenüber keine eigenen Interessen verfolgen darf – es sollte sein Selbst sozusagen zurückstellen. Ihr Unterbewusstsein möchte schließlich der Mittelpunkt sein, um den sich alles dreht. Damit wären wir schon bei einem weiteren Punkt Ihrer Vorstellungen über die Wahre Liebe.

Das dritte Liebesideal von empathischen Menschen beinhaltet Selbstlosigkeit.

Diesen Anspruch werden Sie später auch auf Ihre Liebespartner projizieren. Sie möchten durch das Gegenüber deutlich das Gefühl vermittelt bekommen, absolut einzigartig (vielleicht auf der Welt) zu sein. Sie erwarten, dass sich Ihr Partner selbstlos auf Sie fokussiert.

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4. Ehrlichkeit

Das letzte Kriterium Ihres Liebesideals hat weniger mit einem Neugeborenen-Ich zu tun, sondern mit den intuitiven Fähigkeiten empathisch veranlagter Menschen.

Es ist sehr auffällig, dass empathische Menschen in ihrem Leben höchste ethische und moralische Werte verfolgen möchten.

Die schulmedizinische Sparte der Neurologie weiß heute, dass der Ort der Wertvorstellungen sowie höherer Bewusstseinsformen der präfrontale Cortex (oberer Teil beider Stirn-/Frontallappen) unseres Gehirns ist.

Wenn dieser Teil unseres Gehirns beschädigt ist (zum Beispiel durch Tumore oder Unfälle), verliert der Mensch jede Form von Moral und Ethik. Eine ungehemmte Triebsteuerung setzt ein, und Betroffene verlieren praktisch ihr „zivilisiertes“ Bewusstsein.

Unsere Wissenschaftler rätseln jedoch noch immer darüber, was diese Werte eigentlich definiert. Woher kommen sie? Was sind Ethik und Moral?

Man hat herausgefunden, dass es nicht ausschließlich die Erziehung sein kann, schließlich weisen bereits Kleinkinder eine gewisse soziale Kompetenz auf.

Vor allem aber tappen unsere Akademiker im Dunkeln, wenn es um die Definition von Gut und Böse geht. Sie können sich nicht erklären, warum bestimmte Menschen sehr gut den Unterschied kennen, während andere dazu weniger in der Lage sind oder manche Gut und Böse sogar überhaupt nicht unterscheiden können.

Augenscheinlich muss es in uns eine unterbewusste Instanz geben, die zivilisierte Werte definiert.

In unserem Unterbewusstsein ist also eine Definition einer HEILEN WELT angelegt. Jedoch können die meisten Menschen diese Blaupause einer perfekten Welt nicht bewusst aus ihrem Inneren abrufen. Empathisch veranlagte Menschen hingegen schon, denn eine ihrer Hauptstärken ist die Fähigkeit, rein intuitiv leben zu können. Ihre Intuition lässt sie wissen, was richtig oder falsch bzw. was zu tun oder zu unterlassen ist. Empathen haben damit einen inneren Zugang zu einer Art höheren Ordnung, die eigentlich niemand so richtig definieren kann.

Empathische Menschen verfügen über ein intuitives Wissen, was richtig oder falsch ist, ohne es begründen oder verbalisieren zu können.

Das Gewissen ist ebenso intellektuell nur schwer zu definieren. Es stellt eine Form des inneren Wissens dar, das uns intuitiv spüren lässt, wenn wir etwas vermeintlich richtig oder falsch gemacht haben. Besonders empathische Menschen können aufgrund ihres intuitiven Talents stets sehr genau differenzieren. Damit sind sie förmlich gezwungen, zumindest unbewusst hohe Wertmaßstäbe in ihrem Leben zu verfolgen.

Empathen können sich ihrem Gewissen in der Regel nur schwer entziehen.

Sie haben damit im Prinzip schon ab ihrer Geburt ein geradezu fanatisches Verhältnis zu den Themen Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Loyalität, Hilfsbereitschaft usw.

Das betrifft natürlich alle Bereiche des täglichen Lebens. Aber bei Liebesbeziehungen spielen diese hohen Werte eine besondere Rolle. Falls sich Empathen in ihren Partnerschaften genötigt fühlen, einen bestimmten Schein zu wahren, eine Notlüge zu erfinden oder bestimmte Vereinbarungen zu brechen, dann kann dies zu schweren Gewissensbissen führen. Es wird ihnen wahrscheinlich auch den Schlaf rauben.

In der Summe geht es also um den großen Komplex von Lüge und Wahrheit. Empathen kennen aufgrund ihrer ausgeprägten Intuition sehr genau den Unterschied und möchten diese Werte natürlich auch in ihren Partnerschaften optimal gewahrt wissen. Damit sind wir bei dem vierten großen Hauptkriterium, das besonders für Empathen in Liebesbeziehungen existenziell wichtig ist:

Das vierte Liebesideal von empathischen Menschen beinhaltet Ehrlichkeit.

Damit haben wir den letzten Punkt Ihres Liebesideals erarbeitet. Es ist so eine „Heile-Welt-Definition“ von Liebe entstanden, die aus Ihrer Sicht folgende Kriterien umfassen sollte:

  • Sie möchten bedingungslos geliebt werden.
  • Sie erwarten ein hohes und einseitiges Engagement.
  • Wichtige Bezugspersonen müssen Selbstlosigkeit zeigen.
  • Sie erwarten Ehrlichkeit.

Empathische Menschen haben aufgrund ihres Neugeborenen-Ichs und intuitiven Talents also schon recht früh in ihrem Leben eine Art Blaupause über die sogenannte WAHRE LIEBE im Kopf.

WAHRE LIEBE bedeutet für empathische Menschen, wenn sie ehrlich, bedingungslos, engagiert und selbstlos geliebt werden.

Empathen könnten praktisch den Liebesfilm aller Liebesfilme produzieren. Oder den Liebesroman aller Liebesromane verfassen.

Natürlich ist Ihnen aus heutiger Sicht auch klar, dass es sich dabei um Liebeserwartungen handelt, die nicht immer erfüllbar sind. Über Ihren damaligen Liebesidealismus werden Sie vielleicht auch ein wenig amüsiert sein.

Allerdings besteht auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Sie sich heute vermutlich nur schwer daran erinnern können, welch hohe Messlatte Sie zu Beginn Ihres Lebens an Ihre Bezugspersonen gelegt haben. Das betrifft besonders Ihre ersten Beziehungen zu wichtigen Menschen in Ihrer Kindheit und Jugend. Wenn Sie damals den Eindruck hatten, nicht im Sinne Ihrer speziellen Liebesideale geliebt worden zu sein, sind in Ihnen ganz bestimmte bedrohliche Gefühle aufgestiegen. Vielleicht passiert Ihnen das auch noch bis heute.

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Die Urängste von empathischen Menschen

Zur Wiederholung: In der Hauptsache war es Ihr Inneres Neugeborenes, das für das Entstehen Ihrer unbewussten Persönlichkeitsstruktur verantwortlich war. Gleichzeitig kann dieser innere Persönlichkeitsanteil aber auch Urängste entwickeln. Schließlich ist das Inneres Kind (respektive Inneres Neugeborenes) für alle Emotionen verantwortlich, und Ängste sind nun mal Emotionen, auch wenn sie sehr unangenehm sind.

Urängste sind nicht einfach nur Sorgen und Nöte, die wir alle täglich in unserem Alltag zu überwinden haben. Nein, diese höchst negativen Emotionen sind die grundlegendsten, die in der Natur überhaupt existieren. Sie treten nur dann auf, wenn tatsächlich das eigene Überleben bedroht ist. Im Prinzip sind solche Urängste noch evolutionäre Altlasten aus einer Zeit, als der Mensch gerade anfing, den aufrechten Gang einzunehmen.

Sie hatten schon als Kind etwas zu verarbeiten, was in einer zivilisierten und aufgeklärten Welt eigentlich überflüssig geworden ist.

Schließlich hat sich der Homo sapiens von dem Evolutionsgesetz „fressen oder gefressen werden“ längst verabschiedet.

Warum diese evolutionären Ängste nur bei Ihnen noch immer aktiv sind, erklärt wieder unser Modell, dass Sie kein herkömmliches Inneres Kind in sich tragen, sondern ein Neugeborenen-Ich. Setzen wir uns geistig wieder in die Zeit kurz nach Ihrer Geburt zurück:

Das neue liebenswerte Leben ist zunächst einmal recht genügsam. Das Baby will schlafen und gefüttert werden. Wird es zudem regelmäßig mit Liebe versorgt, umso besser. So weit, so gut.

Werden diese Grundbedürfnisse nicht optimal erfüllt, ist dies natürlich im höchsten Maße tragisch, aber noch nicht lebensbedrohlich. Wenn das kleine Baby unregelmäßig Muttermilch erhält oder wegen Bauchschmerzen manchmal nicht schlafen kann, ist sein Leben noch nicht in Gefahr.

Es gibt jedoch einen ganz bestimmten Fall, in dem es sehr ernst werden könnte:

Würde das Baby vergessen werden, würde sein Tod unmittelbar bevorstehen!

Falls das Baby irgendwo liegt und dabei unbemerkt bleibt, stellt sich das Ende durch Nahrungsmangel oder Kälte schnell ein. Wie bereits erläutert, sind Nachkommen des Homo sapiens direkt nach der Geburt nicht selbstständig überlebensfähig. Sie können nur daliegen und hoffen.

Babys sind auf zuarbeitende Personen in höchstem Maße angewiesen – sonst sterben sie.

Der Urinstinkt eines Neugeborenen wird immer dafür sorgen, sich konsequent bemerkbar zu machen. Die unbewusste Hauptaufgabe von Babys ist also sicherzustellen, dass es niemals vergessen wird. Dazu prüfen die Instinkte des Neuankömmlings permanent (wenn sie wach werden), ob der Ernährer noch anwesend bzw. verfügbar ist. Deshalb können Babys nur liegen, schauen und hören.

Gibt es nur den allerkleinsten Anhaltspunkt, dass zum Beispiel die Mutter ausfällt, sagt der Urinstinkt (die Schulmedizin nennt es Reflexe) dem Neugeborenen, dass es jetzt schnell um Leben oder Tod gehen könnte.

Je länger niemand kommt, umso intensiver schaukelt sich der Kampf ums nackte Überleben hoch. Babys kennen noch nicht die soziale Zeit. Sie können nicht bewerten, wie lange Mama oder Papa brauchen, um vom Wohnzimmer an ihr Bettchen zu gelangen. Sie kennen nur die Gegenwart. Jetzt, in diesem Augenblick, ist niemand da. Und wenn keiner da ist, weiß es unterbewusst, dass es verloren ist.

Entsteht bei Neugeborenen der Eindruck, allein gelassen zu sein, steigen unweigerlich Todesängste auf.

Und Todesängste sind Urängste. Es geht um Lebensgefahr – im Prinzip um die Sorge, zu verhungern oder bei lebendigem Leibe gefressen zu werden.

Und jetzt kommt Ihr empathische Definition der WAHREN LIEBE ins Spiel. Für Ihr unbewusstes Neugeborenen-Ich ist die einzige Garantie, nicht vergessen zu werden, wenn es zumindest von einer Person unendlich geliebt wird. Nur wenn das Gegenüber Ihr Liebesideal – ehrlich, bedingungslos, engagiert und selbstlos geliebt zu werden – erfüllt, ist das Risiko nahezu null, zu verhungern, zu erfrieren oder sonstigen Gefahren ausgesetzt zu sein.

Während sich diese inneren Ängste eines Babys bei normal veranlagten Menschen nach und nach auflösen, hat das bei Ihnen leider nicht richtig funktioniert. Ihr Unterbewusstsein – sprich Ihr Inneres Neugeborenes – beobachtet noch heute alle Ihre wichtigen Bezugspersonen, ob sie Ihren Vorstellungen der Wahren Liebe erfüllen. Das kann dramatische Auswirkungen haben:

Haben Sie von bestimmten Bezugspersonen den Eindruck, nicht geliebt zu werden, steigen in Ihnen auch noch heute URÄNGSTE auf.

Das heißt, alle Liebesbezeugungen werden Sie dahingehend abgleichen, ob es dabei tatsächlich um ehrliche, bedingungslose, engagierte und selbstlose Liebe geht. Denn nur dann, können Sie sicher sein, nicht zu verhungern, vom Säbelzahntiger gefressen oder vom Neandertaler-Nachbarstämme entführt zu werden. Sie erkennen sicher die emotionale Dramatik, die in dieser Aussage steckt.

Dieses aussichtslose und ständige Abgleichen mit einem inneren Liebesideal, das in der Regel von den wenigsten Bezugspersonen erfüllt werden kann, begann bereits zu einer Zeit, an die Sie sich wahrscheinlich nicht mehr erinnern können. Fiel damals das Ergebnis Ihrer Bewertung der entgegengebrachten Liebe negativ aus (und das war mehr als wahrscheinlich), mussten Sie sich schon als Kleinkind in Ihrem Leben bedroht gefühlt haben.

In der Summe schleppten Sie von Anfang an eine Reinheit in Sachen idealisierte Liebesvorstellungen mit sich herum, die es in sich hatte.

Man könnte auch sagen, dass Sie mit fast engelhaften Vorstellungen über die Liebe Ihr Leben starteten.

Wenn es um wichtige Bezugspersonen geht, können im Körper von empathischen Menschen also noch heute hormonelle Zustände wirken, die eigentlich nur im Überlebenskampf vonnöten sind (z. B. erhöhter Blutdruck, Gesichtsröte, Stottern, Ausschüttung von Stresshormonen und Herzrasen).

Ihr Unterbewusstsein verstrickt sich dabei in Todeskämpfe, obwohl es nicht um Leben oder Tode geht, sondern eigentlich „nur“ um die Liebe. Dies ist auch die Erklärung dafür, dass allein Empathen durch die Liebe nicht nur die größten Glücksmomente ihres Lebens erfahren können, sondern leider auch Gefahr laufen, schwere seelische Verletzungen davonzutragen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass solche Urängste überwunden werden müssen.

Der Schlüssel dabei ist die Entwicklung von Urvertrauen. Urängste können nur durch Urvertrauen kompensiert werden. Es ist nicht möglich, sein Leben lang von steinzeitlichen Ängsten verfolgt zu werden. Die Überwindung von Urängsten durch die Entwicklung von Urvertrauen kann jedoch nicht von heute auf morgen vonstattengehen. Das benötigt viel Lebenserfahrung (siehe auch mein Artikel: luca-rohleder.de/6-tipps-fuer-urvertrauen)

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Haben Sie also Geduld, falls Sie von diesem Thema betroffen sind. Es sind verschiedene Schritte der Charakterbildung und insbesondere die Erhöhung der Resilienz (seelische Widerstandskraft) vonnöten. Das braucht Zeit.

Spätestens in Ihrer zweiten Lebenshälfte werden Sie alle Schritte der notwendigen Persönlichkeitsentwicklung abgeschlossen haben und sich ihren idealisierten Liebesvorstellungen vollständig bewusst geworden sein.

Dann werden Sie nur noch mit einem Schmunzeln auf Ihre Vergangenheit zurückblicken.

Luca Rohleder, Gründer des NETZWERKs GLÜCKLICHER LEBEN und Autor von:


Die Liebe empathischer Menschen, Buchcover

Luca Rohleder
Die Liebe empathischer Menschen
Bessere Beziehungen, mehr Selbstliebe und weniger Liebeskummer für sensible Menschen
ISBN 9783982212081

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Quellenangaben:
https://www.spektrum.de/transaktionsanalyse
https://www.deutsche-biographie.de/adolfportmann
https://www.sozialbank.de/dickswaab

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2 Kommentare

  1. Habe Ihr Buch gelesen und bin Mutter (und Exfrau) von einer solchen Empathin /Hochsensiblen Tochter. Ich leide darunter, dass sie sich trotz aller Bemühungen nicht ausreichend von mir geliebt fühlt und sich bei dieser krassen Suche nach einer idealen Welt und der idealen Liebe total im Weg steht (wie mein Exmann wohl leider auch) und dabei auch schon einiges an Spänen gefallen sind, nicht nur bei mir.

    In Ihrem Buch und Ihrem Text finde ich diese Erklärungen für meine Beobachtungen, aber wie kann man da helfen? Natürlich möchte ich, dass es ihr gut geht, aber ich kann mich auch nicht völlig für sie verbiegen und aufreiben.

    Hilft Traumatherapie? Vielen Dank

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